Zeitzeugen

Zu Beginn des Jahrhunderts war die Zellerau geprägt von landwirtschaftlichen Gütern (Moschee, Moskau, Talavera), von großen Obst- und Gemüsegärten, einer großen Gärtnerei, Grünanlagen, Weingärten, Brauereien, einer Druckmaschinenfabrik, einer Dampfwäscherei, der Staatlichen Hufbeschlagschule und dem Militär, das die Geschichte des jungen Stadtteils wesentlich mitprägte.

Durch einen Flächentausch zwischen Stadt und Militär sowie durch den Verkauf der zwischen 1901 und 1928 in Stadtbesitz gelangten Güter an das Militär hatte die Stadt in den Dreißiger-Jahren finanziell die Möglichkeit 450 Wohnungen zwischen Mainau-, Wörth- Maillinger- und Ysenburgstraße zu errichten. Elsbeth Tröster spricht begeistert von dem Wohnkomfort (Wohnküche, Speise, kombinierter Herd mit Gas- und Holzröhre, Waschraum, überdachte Wäscheleinen, große Fenster, teilweise Bäder, Teppichstange im Innenhof) und der Lebensqualität in der Siedlung.

Obwohl einerseits das Militär sein Areal erweiterte und neben den Kasernenbauten auch andere Einrichtungen wie Offiziersspeiseanstalt und -dienstgebäude, Bekleidungsamt, Proviantamt und Militärbäckerei, Reithalle sowie letztlich auch Wohnungen für die Soldaten und deren Familien traten – und andererseits der städtische Wohnungsbau einsetzte, verlor die Zellerau vorläufig nicht ihren nahezu ländlichen Charakter. Zumal anstelle einiger parkähnlicher Gärten landwirtschaftliches Kulturland angelegt wurde um die Versorgung der Städter mit Obst, Gemüse und Getreide zu garantieren.

Trotz der eher ländlichen Struktur war im Viertel alles vorhanden was die Bewohner zum Leben brauchten: Lebensmittelgeschäfte, Gemüseladen und -händler, Fischladen, Bäckerei, Metzgerei, Milchgeschäft, Gärtnerei, ein kleines Textilgeschäft sowie eine Eisbahn und sogar eine Badeanstalt. Denn mit dem Militär, den Brauereien und der Fabrik hatten sich auch die notwendigen Handwerksbetriebe (Schlosserei, Zimmerei, Sattlerei, Schneiderei) angesiedelt. In die Stadt ging man lediglich um Kleidungsstücke zu kaufen oder zum Theaterbesuch an Weihnachten. Umgekehrt kamen die Städter beim sonntäglichen Ausflug in die Zellerau und besuchten die Biergärten und die Kleingärten. „Bei uns war es ländlich, sittlich, fein“ so Elsbeth Tröster stolz über „ihre“ Zellerau.

Bei Regen konnten Städter und Zellerauer auch einen der vielen Gasthöfe des gastronomisch gut erschlossenen Stadtteils aufsuchen. „In der Zellerau ist immer gut gegessen und getrunken worden“ betont Annemarie Gugel. Und sie muß es wissen, schließlich verkaufte sie im elterlichen Fischladen Brod die beliebten „Meefischli“. Ihre Kunden waren neben den Gaststätten der Stadt und des Viertels die Arbeiter, Angestellten, städtischen Beamten und Selbständigen aus der „oberen“ Zellerau (Ein- und Zweifamilienhäuser südlich der Frankfurter Straße) und der „unteren“ Zellerau (Wohnsiedlungen nördlich der Frankfurter Straße).

Aber auch die Bewohner der „unteren“ Zellerau unterschieden zwischen der „oberen“ Wredestraße (Wohnsitz vieler Handwerker und Arbeiter) und der „unteren“ Wredestraße (Wohnsitz vieler finanziell Minderbemittelter und Wohlfahrtsempfänger in der 1928 errichteten städtischen „Barackensiedlung“).

Die sozialen Probleme der letztgenannten Gruppe, die durch die sehr primitiven und engen Wohnverhältnisse eher verstärkt als gelöst wurden, brachten der Zellerau den negativen Ruf eines „Glasscherbenviertels“ ein, der nach 1945 nicht nur erhalten blieb, sondern sich noch weiter verfestigte. In dem von Deutschland verursachten Weltkrieg war Würzburg nahezu völlig zerstört worden. Die Nutzung der verbliebenen Kasernenbauten durch die Amerikaner und die Einquartierung von obdachlosen Flüchtlingen veränderten die Sozialstruktur des Viertels.

Die für die Stadt günstigen Besitzverhältnisse (der o.g. Verkauf der Grundstücke an die Reichswehr war notariell nicht abgesichert worden, so daß die Stadt nach dem Krieg als Eigentümerin des ehemaligen Infanterie-Geländes an der Weißenburgstraße auftreten konnte) erlaubten es, den sozialen Wohnungsbau in der Zellerau großflächiger durchzuführen als in den anderen Stadtvierteln. So zogen viele Ausgebombte und Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches verstärkt in diesen Stadtteil. Zunächst in Bretterverschläge der ehemaligen Kaserne und später in die neu errichteten Wohnblöcke, die aber bei weitem unterhalb des Wohnkomforts der früheren städtischen Vorkriegswohnungen lagen (z.B. Toilette im Treppenhaus) und teilweise (skandalöserweise) erst in den 90er Jahren saniert und renoviert wurden.

Der ehemals vom Militär geprägte Stadtteil läßt spätestens seit dem Abzug der Amerikaner aus der Zellerau neue Möglichkeiten auf dem Gelände der ehemaligen Hindenburg-Kaserne zu. Der bereits vor einigen Jahren vom Würzburger Stadtrat beschlossene Rahmenplan Zellerau und das darin beinhaltete Bebauungsplanverfahren Zellerau-Mitte mit Verlegung des DJK-Stadions an die Mainaustraße, Wohnbebauung an der Frankfurter Straße und einem großzügigen Grünbereich an der Weißenburgstraße wartet noch auf Umsetzung. Ebenso die seit Jahren überfällige Gestaltung des Einmündungsbereiches Wredestraße/Frankfurter Straße, dem Zellerauer „Marktplätzchen“, dem es in der jetzigen (unmöglichen) Form so schwer fällt hier im geschäftigen Zentrum der Zellerau seine Rolle zu spielen.

Quelle: Leo H. Hahn: Streiflichter zur Geschichte der Zellerau und der Stadt Würzburg. Würzburg 1995

Wir bedanken uns herzlich bei den Zeitzeuginnen Annemarie Gugel und Elsbeth Tröster, die „ihrer“ Zellerau seit über 60 Jahren treu verbunden sind.